Begriff des Moderationslabors

Ein Moderationslabor dient dazu, zu erforschen, welche Methoden und Formen technischer Unterstützung geeignet sind kommunikative Entscheidungsprozesse zu Sach- und Fachfragen in Gruppen zwischen ca. fünf und zwanzig Personen zu moderieren, die Ergebnisse und den Prozess der Kommunikation zu dokumentieren und zurückzuspiegeln, und den Verlauf der Kommunikation sowie die Interaktion mit den technischen Systemen für empirische Forschung aufzuzeichnen.

Wissenschaftlicher Hintergrund

Der Lehrstuhl Informations- und Technikmanagement (IMTM) hat sich am Institut für Arbeitswissenschaft der Ruhr-Universität Bochum als interdisziplinäre Forschungsgruppe etabliert, die sich vorrangig mit der Frage befasst, wie Computersysteme, die der Unterstützung kooperativer Arbeit dienen, hinsichtlich der Aspekte Nützlichkeit und Gebrauchstauglichkeit gestaltet werden und wie sie mit dem Ziel einer nachhaltigen Nutzung eingeführt werden.

Die Entwicklung eines sozio-technischen Systems muss eine Vielfalt verschiedener Aspekte (fachliche, technische, organisatorische, soziale Strukturen etc.) berücksichtigen und unterschiedliche Interessen und Perspektiven verschiedener Akteure integrieren. Diese Anforderung ist Gegenstand des so genannten „Participatory Designs“, das sich inzwischen auch im Kontext der Informatik als Forschungsgebiet entwickelt hat. Insbesondere kann die Frage als ungelöst betrachtet werden, mit welchen Formen von Darstellungen und Dokumenten die entscheidungsrelevanten Kommunikationsbeiträge festgehalten und so zurückvermittelt werden, so dass die verschiedenen Aspekte und Perspektive aufeinander bezogen werden können. Als Grundlage und verbindendes Element solcher Dokumente eigenen sich grafische Modelle, die geeignet sind, aufgrund einer besonderen Modellierungsnotation sozio-technische Systeme zu beschreiben.

Zum anderen befasst sich IMTM mit den Möglichkeiten der technischen Unterstützung von kommunikativen Entscheidungsprozessen, die die Entwicklung sozio-technischer Systeme begleiten. Dabei ist – in Analogie zu Werkzeugen der Software-Entwicklung – für den Entwurf und die Präsentation von Diagrammen der Einsatz von Hard- und Software sinnvoll, mit der die Modelle sozio-technische Systeme erzeugt, bearbeitet und präsentiert werden können.

Bedeutung für Forschung und Praxis

Von besonderer Bedeutung für das Technikmanagement ist die Unterstützung der dabei anfallenden Kommunikationsprozesse, sowohl synchrone als auch asynchrone. Synchrone Kommunikation in Gruppen ist besonderes relevant, wenn kreative Designprozesse stattfinden, komplexe Entscheidungen zu fällen sind oder mögliche Probleme aus der Sicht verschiedener Praktiker zu antizipieren sind.

Viele – auch prominente – Technikentwicklungs- und Einführungsprozesse scheitern oder verzögern sich letztlich, weil nicht rechtzeitig das relevante Wissen zur Früherkennung von Barrieren in die Entscheidungsfindung einbezogen wurde.

Angesichts dieser Situation lässt sich feststellen, dass die computerbasierte Unterstützung von synchroner Gruppenkommunikation in Verbindung mit Möglichkeiten der Moderation noch nicht ausreichend erforscht sind und unterstützt werden, insbesondere wenn es darum geht, Modelle, Entwürfe oder Prototypen gemeinsam zu inspizieren und zu modifizieren.

Dabei kommt es darauf an, dass Informationsmaterialien visualisiert werden und direkt von verschiedenen Beteiligten interaktiv verändert werden können. Die Veränderungsschritte sollten über interaktive, große Projektionsflächen, mit Hilfe von Laptops bzw. Tablet-PC oder auch anderer Eingabemedien (Zeigeinstrumente) möglichst unmittelbar gegenüber der Gruppe darstellbar sein.

Die so gewonnen Information müssen möglichst nahtlos dokumentiert werden und auch nach den jeweiligen Besprechung leicht zugänglich und durchsuchbar sein. Solche Anforderungen sind bislang noch nicht ausreichend umgesetzt und die Vor- und Nachteile verschiedener Ansätzen sind noch nicht zureichend erforscht – dies gilt insbesondere für Aufgaben der partizipativen Technikentwicklung und -einführung.

Die bisherige computerbasierte Unterstützung von synchronen Kommunikationsprozessen wurde in den 90er Jahre unter dem Stichwort „electronic meeting support“ oder „computer aided team“ behandelt. Dabei dominierte die notwendige Interaktion der einzelnen Beteiligten mit dem Computer das Geschehen – die Nutzung von interaktiven „Large Screen Displays“ zur Visualisierung und zur Verdichtung von Verständigungsprozessen wurde aufgrund des Standes der Technik nicht näher betrachtet.

Erst in jüngerer Zeit wird dies unter dem Sammelbegriff „Colocated Cooperation“ oder „team-computer interaction“ behandelt. Die Unterstützung von klassischen Moderationstechniken (Schumann 2005, Malorny & Langner 1997) und die Fokussierung auf Diagramme und Prototypen, die sozio-technische Lösungen und Innovationen repräsentieren, wurde dabei noch nicht vertieft. Auf diese Aspekte wird insbe-sondere die Ausstattung des Bochumer Labors orientiert sein.

Forschungsziele

Ein Moderationslabor bietet die Möglichkeit von Forschungsarbeiten unter verschiedenen Aspekten, wie sie bisher nicht möglich waren.

Techniken der Colocated Collaboration
Der Ansatz, die elektronische Unterstützung der Kommunikation, Kooperation und Koordination von Personen am gleichen Ort hat in der CSCW-Forschung (Computer Supported Coope-rative Work) an Bedeutung gewonnen und wird unter den Stichwort Colocated Collaboration (CSCW-Workshop 2004, Chicago) bearbeitet.

Im speziellen Fall lassen sich die Stärken und Schwächen der verschiedenen die Interaktion und Kooperation unterstützenden Ein- und Ausgabemedien im Vergleich untersuchen sowie die Bedingungen, von denen die zu beobachtenden Effekte abhängen (also z.B. Eingabe via Tablet-PC vs. Eingabe an der interakti-ven Präsentationswand für die Aufgabe Brainstorming, Nützlichkeit der Aufzeichnung und Wiedergabe von Audiosignalen). Darüber hinaus ist von besonderem Interesse, nicht nur die Leistungsstärke der elektronischen Kommunikationsinstrumente untereinander, sondern sie auch hinsichtlich der Effekte mit den Möglichkeiten der klassischen Moderationstechnik zu vergleichen (z.B: Karten und Pinboards, freie Skizzen und Anordnung von textlichen sowie grafischen Elementen an der Pinboard, Flipchart etc.).
Hier besteht eine besondere Herausforderung darin, die erarbeiteten Ergebnisse permanent während der Sitzung verfügbar zu halten.

Modellierungswerkzeuge
Für die Gestaltung von Lösungen – hier insbesondere im Bereich sozio-technischer Systeme – sind die Möglichkeiten der kooperativen Benutzung von Entwurfswerkzeugen, vorrangig Modellierungseditoren – von besonderem Interesse. Solche Werkzeuge wurden bislang hinsichtlich ihrer Tauglichkeit für Colocated Collaboration nicht ausreichend untersucht bzw. weiterentwickelt.
Vielmehr konzentrierte sich das Untersuchungsinteresse auf Editierungsvorgänge, zu denen von verschiedenen Orten aus beigetragen wird.

Beim gemeinsamen Editieren vor Ort stellen sich z. B. Fragen, wie die verfügbaren Instrumente den Wechsel zwischen Phasen der individuellen Konzentration auf Lösungsmöglichkeiten einerseits und dem Austausch von Lösungsvorschlägen andererseits möglichst flexibel gewechselt werden kann, wie sich freies Brainstorming mit den Regelungsanforderungen verträgt, die durch den Einsatz der elektronischen Medien erforderlich ist, wie man mehrere alternative Lösungsvorschläge präsent halten kann, ohne eine kognitive Überlastung zu erzeugen etc.

Wissensmanagement und Computer supported Collaborative Learning (CSCL)
Die Durchführung kommunikativer Entwurfs- und Entscheidungsprozesse, so wie sie im Labor erprobt werden sollen, kann nicht isoliert betrachtet werden, sondern muss im Kontext von Informationen und Dokumenten gesehen werden, die diese Prozesse vorbereiten, begleiten und letztlich aus ihnen folgen. Daher stellt sich auch die Frage, wie sich die im Labor durchgeführten Kommunikationsprozesse systematisch in ein umfassenderes Konzept einer Wissensmanagementlösung einbetten lässt, die dann einen asynchronen und räumlich verteil-ten Informationsaustausch ermöglicht. Hier ist es von Vorteil, dass aufbauend auf Ergebnissen eigener und fremder Forschung zum Wissensmanagement mit einer eigenen Plattform (K2), die kollaboratives Lernen und Wissensmanagement integriert, die Kopplung mit den im Labor benötigten und anfallenden Informationen erprobt werden kann und Potentiale für die techni-sche und organisatorische Weiterentwicklung identifiziert werden können.

Wissensmanagement ist eng mit Lernprozessen verbunden, zu denen mehrere Akteure und Rollen gemeinsam beitragen. Zu Unterstützung solcher Lernprozesse hat sich die Forschungs-richtung CSCL (Computer Supported Collaborative Learning) etabliert. Das Labor bietet die Möglichkeit, das colocated CSCL näher zu untersuchen. Dazu ist die vorhandene Plattform K2 um geeignete Funktionalität für diese Einsatzform zu ergänzen und verschiedene Ablauf-szenarien für solche Formen des Lernens sind zu entwickeln und zu erproben. Die Integrati-onsmöglichkeiten in asynchrone Phasen des CSCL muss gewährleistet werden.

Moderation soziotechnischer Entwicklungsprozesse (STWT)
Neben der Eignung von Entwurfs- und Modellierungswerkzeugen stellt sich vor allem die Frage, wie sich gängige Formen der Moderation von Kommunikationsprozessen so anpassen lassen, dass sie im Kontext der Möglichkeiten und gleichermaßen auch Erschwernisse, die durch die elektronische Unterstützung erzielt werden, zu verbesserten Ergebnissen führen.

Es zeichnet sich ab, dass neue Verhaltens- und Interventionsstrategien für Moderatoren und Moderatorinnen entworfen werden müssen. Es werden insbesondere solche moderierten Kommunikationsprozesse betrachtet, die einen Gestaltungs- und Entscheidungsprozess unterstützen, wobei sowohl technische als auch organisatorische Strukturen und Prozesse gestaltet werden. Idealer Weise sollte beides integriert gestaltet werden, was hier unter Stichwort „soziotechnisches Design“ zusammengefasst wird. Für diesen Zweck wurde in der Forschungsgruppe IMTM der im Usability Engineering etablierte Ansatz des „Cognitive Walkthrough“ auf den Bereich der soziotechnischen Gestaltung übertragen, indem mehrere Teilnehmer in einer Reihe von Workshops anhand von gestaltungsorientierten Leitfragen in einem partizipativen Prozess unterschiedliche Perspektiven in den Prozess der Systementwicklung einbringen.

Die Vor- und Nachbereitung, Moderation sowie methodisch technische Unterstützung dieser Workshops bedarf verstärkter Forschung um eine kontinuierliche Verbesserung der Methodik zu erzielen. Als Maßstäbe für eine Verbesserung kommen in Betracht:

  • die Qualität der Entwurfsentscheidungen
  • das Einbeziehen verschiedener Perspektiven
  • der Grad der Konsensfindung
  • die Zufriedenheit der Teilnehmer/innen mit den Beteiligungsmöglichkeiten sowie die objektive Beteiligungsquote
  • die Gleichheit der Chancen der Einflussnahme
  • der Lerneffekt bei einzelnen Teilnehmer/innen
  • der Grad der Wissensintegration

Zu diesen Kriterien gibt es bezogen auf asynchrone und/oder räumlich verteilten Kommunikationsvorgängen zahlreiche Untersuchung (z.B. Kiesler und Sproull 1988); bzgl. der Lerneffekte und der Wissensintegration lassen sich zusätzlich eigene Forschungsarbeiten heranziehen, die in den Bereichen Wissensmanagement und Computer Supported Collaborative Learning durchgeführt wurden.

Die hier beschriebenen möglichen Forschungsbereiche stellen einerseits die Breite des mit dem Labor möglichen Untersuchungsbereichs dar, andererseits wird hier ein enger Zusammenhang deutlich. Die Forschung wird im Kontext konkreter anwendungsorientierter Forschungsprojekte – die zum größten Teil gefördert werden – und Dissertationsvorhaben stattfinden.

Verzahnung mit anderen Projekten

Mit Hilfe des Labors werden verschiedene eng verzahnte Forschungsfelder bearbeitbar. Das Labor soll konkret für folgende Aufgaben in Verbindung mit geförderten Projekten benutzt werden:

  1. Es wird die Entwicklung von Referenzmodelle für informationstechnisch unterstützte Innovationsprozesse in Unternehmen am Beispiel einer Softwarefirma erprobt und ver-feinert (Novamille). In diesem Zusammenhang wird die Methode „socio-technical Walkthrough (STWT)“ weiter verfeinert.
  2. STWT-gestütztes Service-Engineering: Entwicklung von Prozessen für informations-technische gestützte Dienstleistungen, die modularisiert erbracht werden (MARIS)
  3. Verschiedene Varianten der Vorgehensweise beim Entwurf von Szenarien für den Ein-satz von CSCL-Systemen werden erforscht (Wink, HBS-Kolleg)
  4. Die Kopplung verschiedener Konstellationen des kollaborativen Lernens (zeitungleich an verschiedenen Orten, zeitgleich an getrennten Orten, zeitgleich im Labor) werden anhand der Plattform K2 erforscht um insbesondere für das Zusammenspiel synchroner und asynchroner Lernphasen Lösungen zu verfeinern. Die Erprobung findet anhand der Lehrveranstaltungen des IAW statt.
  5. Es werden Konzepten für Wissensmanagementlösungen kooperativ entwickelt; es wird erforscht, wie die in den dazu durchgeführten sociotechnical Walkthroughs entstandenen Dokumente das Umsetzten der Lösungen anleiten (Wink, Era)
  6. Eine Variante des STWT befasst sich mit der Bewertung vorgegebener Lösungskonzep-te. Die hiefür angemessene Vorgehensweise wird anhand der Risikoabschätzungen in-formationstechnische abgestützte Verfahren hinsichtlich des Datenschutzes durchge-führt.
  7. Der Aufbau des Labors und die Verfeinerung kooperativer Interaktionsmöglichkeiten kann selbst als Forschungsvorhaben eingestuft werden – unter anderem auch wegen der Anpassung der Interaktionsmöglichkeiten für den Modellierungseditor.

Im Kontext arbeitswissenschaftlicher Forschung

Das Visualisieren, Präsenthalten und kontinuierliche Bearbeiten von Zwischenergebnissen ist bei der moderierten Kommunikation in Sitzungen eine wesentliche und unverzichtbare Gruppenaufgabe.

Diese Aufgabe wird sowohl in der Ruhr-Universität Bochum als auch im Allgemeinen nur mit papierbasierten Medien oder durch den Einsatz von Beamern ermöglich, die aber so installiert sind, dass sie für Präsentationszwecke, aber nicht für interaktive Aufgaben genutzt werden. Daneben gibt es Software, die zeitgleiches kooperatives Arbeiten an einem Ort unterstützt, die aber ohne gemeinsame, interaktive Präsentationsflächen die Techniken der klassischen Moderation nur unzureichend abbildet – das gilt insbesondere für Entwurfsarbeiten.

Darüber muss diese Software in einem Pool von Rechnern installiert sein – solche Pools arbeiten zur Zeit aber nicht mit funkvernetzten Tablet PCs, sodass es nicht möglich ist, sich frei im Raum des Kommunikationsgeschehens zu bewegen und ohne Ablagemöglichkeit (Tisch) Einträge (u.U. auch im Stehen) vorzunehmen. Ein weiteres, letztlich ausschlaggebendes, Manko der zurzeit verfügbaren Präsentationsräume und Rechnerpools ist es, dass sie nicht in ein Labor integriert sind, das über die skizzierte und für systematische Forschung unabdingbare Aufzeichungs- und Dokumentationstechnologie verfügt.

Aufbau des Moderationslabors

Das Moderationslabor besteht im Wesentlichen aus folgenden Komponenten

  • Gruppenprojektion: „interactive Large Screen“ – es werden mehrere Rückwandprojek-tionen weitgehend nahtlos gekoppelt und mit interaktiven Projektsfläche versehen, um einen interaktiven Arbeitsbereich von ca. 5m Breite zu erhalten.
  • Individualunterstützung: „intelligente Interaktionsmedien“ – ca. 16 funkvernetzte Tablet-PCs, die untereinander und mit der „Large-Screen“-Applikation interagieren können. Ergänzung durch Gruppenarbeitsplätze mit mittelgroßen TFT-Displays sowie Scanner und Drucker.
  • Erhebungstechnik: Bild und Tonaufzeichnung, Verarbeitung der Aufzeichnung zwecks Dokumentation
  • Software für Modellierung, Visualisierung von Beiträgen, Strukturierung von The-men, Bearbeitung der Aufzeichnungen etc.
  • Ergänzende räumliche Ausstattung